„Zukunft wird aus Mut gemacht“ – Rainer Schlegel übernimmt als Ombudsmann der PKV
Ab dem 1. November 2024 übernimmt Prof. Dr. Rainer Schlegel das Amt des Ombudsmanns der Privaten Kranken- und Pflegeversicherung. Er tritt die Nachfolge des verstorbenen Heinz Lanfermann an, der die Schlichtungsstelle über zehn Jahre geführt hat. Prof. Schlegel bringt nicht nur seine langjährige Erfahrung als Präsident des Bundessozialgerichts mit, sondern auch eine klare Vision für die Konfliktlösung zwischen Privatversicherten und PKV-Unternehmen. Im Interview spricht er über seine Ansichten zur Rolle der PKV und betont, wie wichtig ihm zügige und transparente Verfahren sind.
Die PKV-Schlichtungsstelle
Die Schlichtungsstelle der Privaten Krankenversicherung bietet Privatversicherten eine unabhängige und kostenfreie Möglichkeit, Meinungsverschiedenheiten mit ihrem Versicherer schnell und fair zu lösen. Durch die Vermittlung des Ombudsmanns erhalten Versicherte Unterstützung bei komplexen Anliegen, ohne den Weg über die Gerichte gehen zu müssen.
Herr Professor Schlegel, Sie haben viele Jahre als Richter im Bereich des Sozialrechts gearbeitet, in dem es ja eher um Fragen der Gesetzlichen Krankenversicherung geht. Und nun übernehmen Sie das Amt des Ombudsmanns der Privaten Krankenversicherung. Welche Parallelen und Unterschiede sehen Sie zwischen diesen beiden Bereichen?
In beiden Bereichen, in der Privaten Krankenversicherung wie auch in der Gesetzlichen Krankenversicherung, geht es in erster Linie darum, den Versicherten beim Auftreten von Krankheiten oder auch zur Vorbeugung vor Krankheiten qualitativ hochwertige Leistungen zur Verfügung zu stellen. Die Versicherten stehen sowohl bei der Privaten als auch der Gesetzlichen Krankenversicherung im Mittelpunkt. Es geht um ihre Gesundheit, um ihre Anliegen und ihre individuellen Bedürfnisse. In beiden Bereichen muss es einen raschen und unkomplizierten Zugang zu „guten“, qualitativ hochwertigen Gesundheitsleistungen geben.
Es gibt aber auch erhebliche Unterschiede zwischen beiden Bereichen. Beim umlagefinanzierten System der Gesetzlichen Krankenversicherung werden die Beiträge nach dem Arbeitsentgelt oder der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Versicherten bemessen, in der Privaten Krankenversicherung spielen für die Prämienhöhe die individuellen Risiken eine erhebliche Rolle. Privatversicherte und gesetzlich Versicherte kennen zwar den Preis für ihre Krankenversicherung. GKV-Versicherte sehen ihren Arbeitnehmeranteil auf der Lohnabrechnung und Privatversicherte können die Prämienhöhe ihrem Bankauszug entnehmen. Aber in aller Regel sehen nur die Privatversicherten, was ihre ärztliche Behandlung gekostet hat, weil der Arzt oder das Krankenhaus direkt mit den Versicherten abrechnet und die Rechnungen die einzelnen Posten ausweisen. Diese Transparenz ist aus meiner Sicht ein großes „Plus“ der Privaten Krankenversicherung; sie bringt eine gewisse Kontrolle über die in Rechnung gestellten Leistungen mit sich, trägt bei den Versicherten zum Kostenbewusstsein bei und verdeutlicht den hohen Wert einer Krankenversicherung.
Als Richter haben Sie in konkreten Streitfällen rechtsverbindliche Urteile gefällt. Wie unterscheidet sich die vermittelnde Rolle eines Ombudsmanns von der rechtlich verbindlichen Entscheidung eines Richters?
Als Richter entscheidet man den Streitfall, nachdem der Sachverhalt gründlich aufgearbeitet ist, nach Recht und Gesetz. In aller Regel gibt es in Streitigkeiten aus dem Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), in dem ich zuletzt gearbeitet habe, nur ein „hop oder top“. Entweder GKV-Versicherte haben den Anspruch auf eine bestimmte von ihnen begehrte medizinische Leistung, oder sie haben den Anspruch nicht. Dem Urteil kommt dann die Aufgabe zu, die getroffene Entscheidung zu begründen. Haben Versicherte ihren Prozess verloren, müssen sie verstehen, weshalb sie den Prozess verloren haben. Am besten ist es, wenn die Sach- und Rechtslage bereits in der mündlichen Verhandlung angesprochen wird und noch die Gelegenheit besteht, Unklarheiten zu beseitigen oder Dinge zu erklären. Auch als Richter sollte man versuchen zu vermitteln, wenn und soweit dies möglich ist.
Die Rolle des Ombudsmanns ist geradezu darauf ausgerichtet, zu erklären und zu vermitteln. Jedenfalls kann der Ombudsmann in der Privaten Kranken- und Pflegeversicherung keine einseitigen verbindlichen Entscheidungen treffen, wie dies bei Urteilen der Fall ist. Der Ombudsmann muss aber, bevor er erklärt oder er zu vermitteln versucht, zuallererst „zuhören können“ und tatsächlich auch zuhören. Es ist eine Selbstverständlichkeit, in Konfliktfällen immer beide Seiten zu hören und sich ihre jeweilige Sicht der Dinge schildern zu lassen. Nur so kann man sich selbst ein eigenes Bild von der Sache machen und den Beteiligten zeigen: Beide Seiten werden ernst genommen und haben die Möglichkeit, ihren Standpunkt vorzutragen.
Tätigkeitsbericht des Ombudsmanns
Der PKV-Ombudsmann legt jedes Jahr Ende Januar einen Tätigkeitsbericht vor. Hier stellt er dar, wie viele Beschwerden eingereicht wurden, zu welchen Themengebieten es Schlichtungsverfahren gab und wie diese ausgegangen sind. Prägnante Fallbeispiele ergänzen den Bericht.
Darüber beschweren sich Privatversicherte beim PKV-Ombudsmann
In Zeiten, in denen juristische Verfahren oft langwierig und teuer sind, gewinnt das außergerichtliche Schlichtungsverfahren an Bedeutung. Welche Vorteile bringt es den Privatversicherten Ihrer Meinung nach besonders?
In der Frage ist die Antwort bereits enthalten: Das Schlichtungsverfahren vor der Ombudsstelle hat für Privatversicherte den großen Vorteil, in den allermeisten Fällen sehr rasch zu einer Lösung zu kommen. Im Schlichtungsverfahren können in kurzer Zeit und ohne große Formalien mögliche Missverständnisse ausgeräumt und Unklarheiten beseitigt werden. Und es lässt auch Raum, für Versicherte wie ihre Versicherungsunternehmen, nach einem gangbaren Kompromiss zu suchen.
Welche Herausforderungen und Chancen sehen Sie in Ihrer neuen Rolle, gerade im Hinblick auf die wachsenden Erwartungen der Versicherten und die zunehmende Komplexität des Gesundheitssystems?
Wir stehen in Deutschland vor enormen Herausforderungen. In den letzten drei, vier Jahrzehnten haben wir uns – und da nehme ich mich nicht aus – an stetiges Wachstum und zunehmenden Wohlstand gewöhnt. Wir sind anspruchsvoll geworden und haben hohe Erwartungen nicht nur an den Staat, von dem viele die Lösung aller Probleme erwarten. Wir haben auch hohe Ansprüche und manchmal auch überzogene Ansprüche an die Systeme sozialer Sicherung wie auch an die Privatversicherung. Dabei ist aus dem Blick geraten, dass das Geld, das der Staat, die privaten Versicherungssysteme oder auch die Gesetzliche Krankenversicherung etc. ausgeben oder ausgeben sollen, zuvor erarbeitet werden muss, damit Steuern, Beiträge und Prämien fließen können. Unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gibt seit einiger Zeit Anlass zur Sorge und ein „Masterplan“, die Krise zu bewältigen, ist nirgendwo in Sicht.
Die Komplexität unserer Welt nimmt zu, im Großen wie im Kleinen. Die Dinge werden unübersichtlich. Unsere Gesellschaft zeigt bedenkliche Polarisierungstendenzen und der Wunsch nach vermeintlich „einfachen Lösungen“ ist unübersehbar. Diese einfachen Lösungen aber gibt es in einer hoch komplexen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung so nicht. Als Ombudsmann möchte ich einen Beitrag dazu zu leisten, die Komplexität unserer Welt jedenfalls im Bereich der Kranken- und Pflegeversicherung ein Stück weit zu reduzieren. Ich wünsche mir, durch meine Arbeit auch das allgemeine „Ohnmachtsgefühl“ vieler Bürgerinnen und Bürger durch Zuhören und Erklären der Dinge und ihrer Zusammenhänge zumindest abmildern zu können. Und bei allen Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert sind, dürfen wir die positiven Seiten unserer freiheitlichen Gesellschaft und unseres Staates, dürfen wir den immer noch sehr hohen Stand unserer Lebensbedingungen nicht übersehen. Es geht uns immer noch sehr gut. Pessimismus, Schwarzmalerei und Resignation waren noch nie eine gute Ausgangsbedingung, um Krisen zu meistern und notwendige Reformen anzugehen. Viel eher sollten wir zu der Überzeugung kommen: „Zukunft wird aus Mut gemacht“.