Was bedeutet eine Bürgerversicherung für die medizinische Versorgung?
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Als Argument für die Bürgerversicherung wird zudem gerne das Schlagwort „Zweiklassenmedizin“ verwendet, mit dem Vorwurf einer gegenwärtigen Ungleichbehandlung von privat und gesetzlich Versicherten. Der Wunsch nach einer Verbesserung des Gesundheitssystems ist groß. So schreibt zum Beispiel die SPD in ihrem Wahlprogramm: „Die Unterschiede bei Wartezeiten und Behandlungsmöglichkeiten zwischen privat und gesetzlich Versicherten müssen dringend beseitigt werden.“
Wer das liest, könnte meinen, gesetzlich Versicherte seien stark benachteiligt und es gebe hierzulande keine gute medizinische Versorgung. Schaut man sich verschiedene Aspekte genauer an, ergibt sich ein anderes Bild.
Finanzielle Folgen einer Bürgerversicherung
- Befürworterinnen und Befürworter einer Bürgerversicherung argumentieren oft, dass sich mit einer Einheitsversicherung die Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) stabilisieren ließe. Die Beiträge der Versicherten würden sinken. Was von diesen Versprechungen zu halten ist.
Gibt es in Deutschland eine Zweiklassenmedizin?
Der Begriff Zweiklassenmedizin unterstellt, dass sich die Qualität der Behandlung nach dem individuellen Versichertenstatus richtet. Das ist nicht der Fall. Ihre Ärztin oder Ihr Arzt behandelt Sie stets bestmöglich. Es stimmt zwar, dass nicht alle gewünschten Leistungen von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen werden, so zum Beispiel beim Zahnersatz. Hier lässt sich aber entgegnen: Mit dem Leistungspaket der GKV erhalten die Versicherten eine gute Grundversorgung, zudem können sie eine Zusatzversicherung abschließen. Das ist bei Privatversicherten ähnlich: Wollen sie einen besseren Versicherungsschutz haben, müssen sie einen entsprechenden Tarif wählen und dafür ebenfalls einen höheren Beitrag zahlen. Hinzu kommt: In einer Bürgerversicherung würden auch nicht mehr Leistungen von den gesetzlichen Kassen übernommen. Wer es sich leisten kann, würde deshalb in einem solchen Einheitssystem eine Zusatzversicherung abschließen oder zusätzliche Leistungen privat aus der Tasche zahlen.
Wie gut ist die medizinische Versorgung in Deutschland?
Ohne Frage: Steigende Leistungsausgaben, Personalmangel und die alternde Gesellschaft stellen unser Sozialversicherungssystem vor große Herausforderungen. Nichtsdestotrotz ist und bleibt die medizinische Versorgung in Deutschland im internationalen Vergleich auf hohem Niveau – auch dank des Wettbewerbs zwischen Privater und Gesetzlicher Krankenversicherung. In einer Bürgerversicherung fiele die Konkurrenz durch die Private Krankenversicherung jedoch weg. In der Folge ließen sich Leistungskürzungen in der GKV politisch wesentlich leichter durchsetzen, denn die Versicherten hätten keine Alternative, auf die sie ausweichen könnten. Gerade bei knapper Kassenlage, wie sie sich derzeit in der GKV zeigt, wären solche Leistungskürzungen zu erwarten.
Tatsächlich wissen die Menschen in Deutschland unser Gesundheitssystem durchaus zu schätzen: Laut einer Allensbach-Umfrage aus dem Jahr 2024 waren immerhin 72 Prozent der gesetzlich Versicherten und 77 Prozent der privat Versicherten zufrieden mit ihrer persönlichen medizinischen Versorgung. Auch die Versichertenumfrage des GKV-Spitzenverbands 2024 zeigt, dass lediglich 19 Prozent der Befragten mit der Gesundheitsversorgung in Deutschland nicht zufrieden sind. Die Patientinnen und Patienten selbst sehen also offensichtlich keinen dringenden Verbesserungsbedarf – und zwar unabhängig davon, wie sie versichert sind. Nach einer Zweiklassenmedizin sieht das nicht aus.
Ärztemangel auf dem Land ist nicht durch die PKV bedingt
Eine Herausforderung ist in der Tat die ärztliche Versorgung in vielen ländlichen Regionen. Es fehlt an sogenannten Landärztinnen und Landärzten. Nach Auffassung derjenigen, die eine Bürgerversicherung befürworten, liegt das daran, dass es in Städten mehr Privatversicherte gibt. Wegen dieser Privatversicherten sei es für Ärztinnen und Ärzte deutlich lukrativer, dort eine Praxis zu führen. Diese Behauptung wurde jedoch durch eine Studie des WIP (Wissenschaftliches Institut der PKV) widerlegt. Die Analyse befasst sich mit der regionalen Verteilung von Ärztinnen und Ärzten in Deutschland und anderen OECD-Ländern. Es zeigt sich: Die regionale Ungleichverteilung von Arztpraxen ist ein internationales Phänomen. Die Patientenstruktur ist eher von geringerer Bedeutung. Vielmehr wählen Ärztinnen und Ärzte ihren Niederlassungsstandort danach aus, wie die Job-, Schul- und Freizeitangebote für sie und ihre Familien aussehen. Eine Bürgerversicherung würde deshalb die ärztliche Versorgung auf dem Land nicht verbessern.
Im Gegenteil: Vor allem Landarztpraxen profitieren von Privatversicherten.
Durch die Abrechnung der Behandlung nach GOÄ erzielen niedergelassene Ärztinnen und Ärzte Mehreinnahmen gegenüber der Behandlung von GKV-Versicherten. Ohne die PKV würden jeder Arztpraxis durchschnittlich rund 63.000 Euro jährlich fehlen. Der PKV-Verband hat ausgewertet, wie sich der Mehrumsatz auf die ländlichen Regionen verteilt. Das Ergebnis war eindeutig: Gerade im ländlichen Raum sind Privatversicherte von großer Bedeutung für die medizinische Versorgung. So haben beispielsweise Landärztinnen und -ärzte im Landkreis Wunsiedel (Bayern) einen Mehrumsatz von 81.755 Euro im Jahr, niedergelassene Medizinerinnen und Mediziner im Großraum München hingegen mit 47.405 Euro deutlich weniger. Bei Einführung einer Einheitsversicherung fielen solche Mehreinnahmen weg – nicht nur in Arztpraxen, sondern zum Beispiel auch im Krankenhaus. Die Bürgerversicherung würde die medizinische Versorgung verschlechtern, statt sie zu verbessern.
Wie sieht es mit den Wartezeiten auf Arzttermine aus?
Ein weiteres Argument, das gerne als Vorteil einer Bürgerversicherung angeführt wird, ist das Ende vermeintlicher Unterschiede bei den Wartezeiten auf Arzttermine. Als Privatversicherte wurden Sie eventuell schon persönlich mit dem Vorwurf konfrontiert, dass Sie schneller einen Termin erhalten und vor Ort kürzer warten müssen als gesetzlich Versicherte. Die Erfahrungen hierzu sind allerdings sehr unterschiedlich – sowohl bei gesetzlich als auch privat Versicherten.
Tatsächlich steht Deutschland im internationalen Vergleich beim Thema Wartezeiten sehr gut da. Eine Studie des Commonwealth Fonds zeigt, dass im Jahr 2023 ca. jeder zweite Patient und Patientin am selben oder nächsten Tag einen Arzttermin erhalten hat. Das wird offenbar auch von den Patientinnen und Patienten selbst so wahrgenommen: Eine Versichertenbefragung des GKV-Spitzenverbandes ergab, dass die Wartezeiten auf einen Hausarzt-Termin für 88 Prozent der Befragten genau ihren Wünschen entsprechen oder zumindest akzeptabel sind. Hinzu kommt: Da lediglich rund 10 Prozent der Menschen in Deutschland privatversichert sind, würde die Einführung eines Einheitssystems mit Blick auf die Wartezeiten für die 90 Prozent der gesetzlich Versicherten keinen spürbaren Effekt haben.
Fazit
Auch wenn das deutsche Gesundheitssystem Verbesserungspotential hat, können wir uns mit unserer medizinischen Versorgung durchaus glücklich schätzen. Ein Blick über die Grenzen zeigt, dass die medizinische Versorgung in Ländern mit Einheitssystemen – wie etwa in Großbritannien – wesentlich schlechter ist. Dies ist jüngst erneut deutlich geworden, durch eine Befragung von Pflegepersonen im Auftrag der Gewerkschaft Royal College of Nursing (RCN): Britisches Gesundheitssystem: Pflege-Gewerkschaft spricht von Toten auf den Fluren (Dlf Nova)